Der Schrein des Wrukólakas (Auszug Kapitel 2)
Inzwischen zitterte sie wieder, unfähig das was geschehen war, richtig zuzuordnen. Die Existenz von Werwölfen war absurd und es musste sich ohnehin um einen ganz schlimmen Alptraum handeln, der ihr hier wiederfuhr. Sie hoffte das sie bald aufwachte und kniff sich in die Armhaut, bis sie "Aua", schrie. Scheinbar war es doch kein Traum, doch das alles real war, was sie hier sah und erlebte, erschien ihr unmöglich. Sie kroch durch das Loch zurück in die Kammer und sah sich dort mit ihrer Armbanduhrlampe um. In der obersten Schublade des Schrankes lagen Kerzen und Streichhölzer von denen sie allerdings nach etlichen Versuchen nicht einen Funken heraus bekam, obwohl sie in Pergamentpapier eingewickelt trocken gelagert waren. In der Schublade der Mitte, fand sie eine weitere, gut verpackte Schachtel Hölzer, aus denen sie nach einigen weiteren Versuchen, endlich einen kleinen Brand an dem Holz erzeugen konnte, mit dem sie die erste Kerze anzündete. Schlau wie Sina war, zündete sie gleich mehrere Kerzen an und sorgte zumindest bei einigen, für ausreichend Windschutz, obwohl es in der Kammer kaum ziehen könnte, hatte sie doch nur den einen Zugang. Nun da sie Licht hatte, schnappte sie sich als erstes wieder ihren Pullover und das Unterhemd und zog es wieder über. Auf die Hose und den Schlüpfer verzichtete sie vorerst. Sie begann die Schränke genauer zu untersuchen und fand in dem uralten Schreibtisch so etwas wie ein Tagebuch, sowie alte Holzschnitt-Druckformen von Szenen mit Werwölfen und einige der zugehörigen Papierdrucke. Sina blätterte sich durch die Szenen, auf denen stehende, gehende, auf zwei und auf vier Beinen laufende und mordende Menschwölfe abgebildet waren, die sich Bild für Bild durch Männer, Frauen und Kinder schlachteten. Teilweise mit einer Teufelsfigur im Hintergrund, manchmal im Wald, einmal auch klopfend an einer Haustür im Dorf. Sina nahm sich den alten Stuhl, der sofort zusammenbrach als sie sich darauf setzte, worauf sie wieder aufstand und sich das Buch also im Stehen vornahm. Obwohl sie mit nacktem Unterkörper Barfuss in der Kammer stand fror sie nicht und zitterte mittlerweile auch nicht mehr. Sie blätterte aufmerksam interessiert das Buch auf und erkannte, die nur schwer zu entziffernde, altdeutsche Schreibweise des Mittelalters: Niklaas Debunte - Wie der Wrukólakas zu vernichten sei Sina blätterte weiter: Ich bete zu dem allmächtigen Gott, an dessen Gerechtigkeit ich mittlerweile stark am zweifeln bin, habe ich doch zu viel Leid gesehen, den der Wrukólakas, des Teufels Geburt, über die Menschen gebracht hat. Möge der Finder dieser Schrift zuerst diese Seiten aufschlagen und sich tunlichst von dem Schrein des Wrukólakas, mit diesem verfluchten, höllischen Schlund fern halten, sonst wäre all mein Tun vergebens gewesen und die Plage begänne erneut. Möget ihr diese Kammer wieder verscharren und noch mehr Erde auf diesen unheiligen Platz werfen, so dass nie wieder ein Mensch das Leid sehen muss welches der Lykantroph brachte und dessen schandvolles Ergebnis ich sah. Das Glitzern im Maul des Wolfsmenschen ist nichts als ein Trugbild der Hölle, erschaffen um zu verführen und Betrübnis, Kummer und Verderben über das Land zu senden, macht es seine Opfer gar zu furchterregenden Gestaltwandlern. Sina sah unberührt auf die alte Schrift. Sie verlor sich in Gedanken und ihr Blick sackte nieder auf ihre Füße. Plötzlich fokussierte sie ihren Blick und sah sich den Fuß an der den inzwischen verdreckten zerlumpten Verband trug. Vorsichtig begann sie den Verband zu lösen und abzuwickeln. Je näher sie der Wunde kam um so klebriger und blutiger waren die Abschnitte des Verbands die darüber lagen. Als sie die Haut jedoch frei legte, befand sich nur noch völlig unbeschädigte Haut darunter. Sina sah nachdenklich konzentriert, jedoch relativ unbeeindruckt auf ihren Fuß, stellte ihn wieder auf den Boden und blätterte weiter in dem Buch. Auf anderen Seiten beschrieb dieser Niklaas Debunte wie er Werwölfe verfolgte und aufspürte, ihnen Fallen stellte und sie vernichtete. Weiter erwähnte er wie er diesen Schrein durch verschiedene Länder, wahrscheinlich durch ganz Europa, - Sina sagten die befremdlich ausgeschriebenen Städtenamen alle nichts, - schleppte, um im Amtsbezirk von Altenberg einen Freund aufzusuchen, der die Aufsicht über einige Bergwerke des Osterzgebirges hatte. Mit Hilfe dieses Freundes gelang es wohl diesen Schacht zu nutzen, um das Objekt hierin zu vergraben, da der Schacht ohnehin geschlossen werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt erwähnte Debunte immer wieder das er glaubte er wäre verfolgt worden. Sina überflog die Eintragungen vorerst nur, da es sie lange genug Zeit kostete, die alte Schrift zu entziffern. Die Letzte Eintragung las sie sich noch komplett durch: 12.1.1765 Das blutrünstige Vieh ist mir also tatsächlich nach gekommen und hat mich gestellt. Es kam so wild in Rage den Schacht hinein getobt und hat um sich geschlagen, das es den Ausgang verschüttet hat. Für mich stellt das nun kein Problem mehr dar. In dem Glauben vorher alle Werwölfe ausgerottet zu haben, kam ich hierher, um den Schrein für immer vom Antlitz der Erde zu tilgen und der Wolf war durch die Verfolgung meiner Person schon sehr geschwächt. Dadurch kann ich mir ziemlich sicher sein, das er auf dem Weg hierher nur Menschen anfiel, um sie zu töten und zu fressen, wenn er dafür überhaupt genug Kraft hatte. Jedenfalls ist das Verschwinden des Schreins gesichert. Von Johannes Pruedert habe ich mich bereits verabschiedet und so wird er mich nicht vermissen. Der Auftrag zum Zuschütten dieser Grube ist auch schon an die Arbeiter vergeben und für Morgen früh angesetzt. Ich werde nur noch mit meinen letzten Kräften diese Kammer wieder schließen so akkurat es mir von innen mit meinem Werkzeug möglich ist. Den Werwolf habe ich mit dem Silberdolch erlegen können, doch die Wunden die er mir vorher zufügte, sind irreparabel. Ich werde in diesem Loch zugrunde gehen. Ich werde nun das Loch nach außen schließen, da ich bereits spüre wie die Kraft aus meinem Körper schwindet. Möge der Allmächtige den Frieden schnell über meine unsterbliche Seele kommen lassen. Sina klappte das Buch zu, wickelte es wieder ein und legte es zurück in die Schublade. Dann sah sie sich mit der Kerze um und entdeckte den Haufen, den sie vorher ohne Licht, für Dreck und Erde hielt. Es war der zusammengekauerte Körper Debuntes, der nach 245 Jahren in dieser Kammer nur noch aus seiner zersetzten Kleidung, Staub und Knochen bestand. Sie stieß mit den nackten Zehen hinein und eine dicke, russige Wolke braunen Staubs, stieb auseinander und einige Knochen klöterten gegeneinander. Sie sah sich noch einmal im Raum um und fand in der hinteren Ecke des Raumes die Überreste des Wolfes. In der vorherigen Dunkelheit war das Skelett nicht zu erkennen gewesen doch nun da sie mit der Kerze darüber stand fuhr ihr ein kalter Schauer durch die Organe. Mit großen Augen und gefesseltem Blick starrte sie das Knochengerüst an welches eine unglaubliche Symbiose zwischen Mensch und Wolf darstellte. Hatte sie sich vorher ebenso verwandelt? Das würde bedeuten das die Knochen sich bei jeder Wandlung komplett verformen. Der Schädel war der eines Wolfes. Einzig das der Kopf auf dem Skelett das eher einem Menschen ähnelte saß, schien auf einen Werwolf hinzudeuten, doch da war noch mehr, allerdings konnte Sina die Details nicht deuten. Die hochgewachsenen Hacken an den Füßen und die Krallen der Zehen, sowie die breiten Schulterblätter und das schmalere Becken. Auch die Rippenknochen waren dünner doch wie sollte Sina das erkennen, da sie nicht einmal das menschliche Skelett allzu detailliert kannte? Einen der Oberschenkelknochen hob sie auf und verglich die Länge mit ihrem eigenen Oberschenkel. Es war im Groben die gleiche Länge. - Sie legte den Knochen zurück und nahm den Schädel in ihre kleine Hand. Sie hielt ihn vor ihren Kopf, öffnete das Gebiss des Schädels und gleichzeitig ihren eigenen Mund. Sie fletschte leicht die Zähne und starrte in die leeren Höhlen des Wolfsschädels. Dann tastete sie die Zahnreihe ab und legte den Schädel wieder nieder. Sie ging noch einmal zu den Schubladen und durchsuchte sie. Dabei fand sie eine verstaubte Ledertasche, stellte sie auf den Schreibtisch und öffnete sie. Als sie eines der Stoffsäckchen entnahm und den Inhalt auf die Platte kippte wich sie instinktiv zurück. - Es waren Silberkugeln. Neugierig nahm sie Eine zwischen die Finger, ließ sie aber sofort wieder fallen und schrie auf. "Verdammt!" Sofort griff sie wieder danach, nahm sie wieder zwischen die Fingern und ließ sie dann über der Platte über den Anderen fallen. Von ihren Fingerkuppen stiegen feine Rauchstreifen hoch. Sie sah auf die versengte dunkelbraune Haut der Kuppen die sich langsam wieder rosa färbte. Der Schmerz war sofort vergangen als sie die Kugel losgelassen hatte. |