Der Schrein des Wrukólakas (Auszug Kapitel 8)
Frederik Gerber war 20 Jahre alt, er liebte Horrorfilme und interessierte sich brennend für die Pathologie, weswegen er dort in Dresden auch einen Nachtjob angenommen hatte. Er hatte dort die Gelegenheit den Ärzten über die Schulter zu schauen die schon lange Zeit das Studium hinter sich gelassen hatten und bereits Profis waren. Gerade dieser Montag war besonders interessant gewesen. Da waren die Werwolfopfer aus dem Weißeritzkreis bei ihnen auf den Tischen gelandet, wo es auch an eine besonders detaillierte Spurensuche und Analyse ging. Frederik konnte sich da vor den Fachärzten profilieren, indem er einen starken Magen bewies und sich alles ganz genau ansah. Natürlich hätte er es vor den Fachleuten nicht zugegeben, aber als er vor den offenen Wunden der Leichen stand und die Hinterlassenschaften der Wolfskrallen sah, begann es schon ein wenig in seinen Innereien herum zu gehen. Er wusste inzwischen, wie widerstandsfähig und zäh menschliche Haut sein konnte und umso mehr beeindruckte ihn nun, mit welcher Gewalt diese tierischen Mordinstrumente da durch stämmige, kräftige Landbewohner und Jäger gefahren sind. Doch das war am Montag und nun einige Tage her. Heute hatte er wieder mal bei McDonalds gegessen, war satt und sein Magen war völlig ruhig. Er machte sich an einer neueren Leiche letzte Notizen zu einer Abhandlung die er zu einem Praxisnahen Thema ein paar Wochen später verfassen wollte und aß währenddessen einen frischen knackigen saftigen Apfel. Die letzten Ärzte waren vor 40 Minuten gegangen und die nächsten 8 Stunden war er hier nun alleine mit den Toten. Für Frederik war das keine schwere Aufgabe. Die Toten störten ihn nicht. Hier hatte er seine Ruhe, konnte seine Aufgaben des Studiums in Ruhe erledigen konnte dabei Musik über Kopfhörer hören und es passierte grundsätzlich die ganze Nacht nichts. Nur selten kam jemand und brachte eine neue Leiche, hatte etwas vergessen oder musste dringend etwas überprüfen, was nicht bis zum nächsten Morgen warten konnte. Er schrieb gerade an einer Hausarbeit während er Go to Hell von KMFDM hörte als jemand ihm von hinten auf die Schulter packte. Obwohl er innerlich trotzdem zusammenschrak hatte er in den Metalloberflächen bereits gesehen das jemand hinter ihm war, er wollte lediglich noch seinen Satz beenden bevor er aufsah. Nun da er sich umdrehte bekam er allerdings den Schock seines Lebens. Frederik brüllte hysterisch unkontrolliert auf und stürzte mit seinem Stuhl zu Boden. Ihm war als würde eine kalte Stacheldrahtpeitsche durch seine Innereien prügeln und wild um sich toben. Gerd Anselm, das am schlimmsten zugerichtete, der drei Werwolf-Opfer stand vor Frederik und stand mit weit aufgerissenem Auge vor ihm. Er reichte mit seiner Hand nach Frederik als wolle er ihn um Hilfe bitten. Seine Schädelknochen lagen zum Teil frei und ihm fehlte ein Auge. Als wäre das nicht genug war sein Oberkörper zerfetzt und zerrissen als wäre er in einen Rasenmäher geraten und trotzdem stand dieser Leichnam nun vor ihm und schien zu leben. Frederik war wie wahnsinnig und zappelte kreischend am gebohnerten Boden des Ganges herum, unfähig Arme und Beine so zu koordinieren, das er aufstehen konnte. Als der wandelnde Tote auf ihn herabsackte und gerade seine Zähne in sein Bein schlagen wollte, das er mit seinen kalten, toten Händen festhielt. Trat Frederik zu und sprang hoch. Schreiend lief er den Gang hoch, schloss nach einer ewig dauernden Zitterpartie mit dem Schlüsselbund endlich die Tür auf und raste aus der Pathologie heraus ohne sich umzudrehen. Mit dem Zufallen ins Schloss, ließ sich die Tür, von beiden Seiten, nur noch mit einem Schlüssel wieder öffnen. Drei Stunden später fand sich Doktor Kanthaus am Eingang der Pathologie ein. Er hatte einen wahnwitzigen Anruf aus der Notaufnahme im Krankenhaus erhalten. Ein Student, wahnsinnig vor Angst, der gerade in die Psychiatrie eingewiesen wurde, hatte wohl seinen Posten als Nachtwache verlassen und stammelte etwas von lebenden Toten. Natürlich musste es sich um kompletten Unsinn handeln, aber die Pathologie konnte nicht unbeaufsichtigt gelassen werden. Als Kanthaus jedoch durch die Sichtscheibe der Tür ins Innere sah traute er seinen Augen nicht. Unfähig sich zu rühren, sah er dort hinter der Tür tatsächlich in gut fünf Metern Abstand, eine nackte Leiche die mit zerstückeltem Oberkörper in halber Leichenstarre mit verdicktem Blut und einem fehlendem Auge ziellos umher wandelte. Kanthaus war als würden plötzlich tausende Ameisen über seine Haut laufen und er begann zu zittern. Er war 52 Jahre alt und hatte bereits einiges erlebt doch was er hier gerade sah spottete jeder Beschreibung. Mit zittrigen Händen schloss er die Tür auf und betrat den Flur. Der Untote verschwendete keine Zeit und kam sofort auf Kanthaus zu, genau so wie er es in diesen albernen Zombiefilmen gesehen hatte. Kanthaus brauchte eine Sekunde ehe er sich von der Tür trennen konnte, an die er sich mit aller Gewalt mit dem Rücken presste. Plötzlich verstand er warum es eben doch nicht so einfach war gegen diese langsamen Zombies anzukommen. Er war wie paralysiert und es kostete immense Kraft gegen diese Ohnmacht des Körpers anzukämpfen. Was er sah war einfach nicht greifbar für sein Hirn und es lähmte ihn obwohl er wusste was zu tun war. Der Tote versuchte tatsächlich Kanthaus in die Schulter zu beißen und erst im letzten Moment konnte der Doktor sich aus seiner Starre reißen, dem Toten die Hand auf den Rücken zwingen und ihn festhalten. Es schüttelte den gestandenen Arzt als die kalten Finger sich in seinem Griff bewegten der Tote sich wand und plötzlich anfing rebellierend zu stöhnen und zu ächzen. Hinzu kam der Gestank aus der Kehle des Toten, sowie aus seinen offenen Wunden. Kanthaus war diesen Gestank grundsätzlich gewohnt doch nun in Verbindung mit einer sich bewegenden Figur wurde ihm urplötzlich schlecht wie 30 Jahre nicht mehr in seinem Leben und er musste kotzen. Der Tote zerrte und versuchte sich loszureißen. Während Kanthaus zur Seite über seinen Arm auf den frischgebohnerten PVC-Boden alles ausspuckte was er am Abend gegessen hatte. Nach 15 Minuten hatte er den lebenden Toten auf einer Bahre mit Lederriemen an Armen und Beinen fixiert und sah fassungslos auf den ungehalten knurrenden Untoten. Einzig die halbwegs eingetretene Totenstarre des verdickten Blutes durch die der Zombie nur sehr langsam war hatte es Kanthaus ermöglicht allein mit dem Vieh fertig zu werden. Nun allerdings brauchte er dringend Unterstützung, damit ihm jemand mal sagte, das er nicht nur einen sehr intensiven Alptraum hatte und er rief Kölln an. Kanthaus hatte den lebenden Toten vorsichtshalber vor Tagesanbruch in Räumlichkeiten eines hinteren Kellers des Nebengebäudes verfrachtet in einen Bereich den er großflächig abriegeln und unter Quarantäne stellen konnte. Kölln traute seinen Augen nicht als er vor der grimmig fauchenden Leiche auf der Bahre stand und griff sich an die Stirn als wäre es in der Hoffnung seinen fliehenden Verstand damit festhalten zu können. "Werwölfe? Zombies? - Was zur Hölle geht denn hier vor sich? Das kann doch nun wirklich nicht mehr wahr sein? - Könnten sie mir das bitte mal irgendwie erklären, so das es einen Sinn ergibt?" Kanthaus stand der kalte Schweiß im Gesicht und er sah völlig erschüttert zurück auf Kölln und sagte mit zittriger Stimme: "Ich kann es nicht! - Ich hab sie erst geholt in der Hoffnung das sie mir sagen würden das ich nur träume oder... - ich weiß es nicht..." Kölln schüttelte fassungslos den Kopf: "So geht es nicht! Irgendwie müssen wir weiter kommen. Das Ganze muss doch eine verständliche Erklärung haben. Sie müssen den Mann natürlich gründlichst untersuchen! - Machen sie sämtliche Tests die man machen kann. Gehen sie bis in die kleinste Mikrobe. Ich will wissen wieso das Herz dieses Mannes wieder angefangen hat zu schlagen." Kanthaus sah mit einem fast entschuldigenden Blick auf Kölln, schluckte und sagte: "Das hat es nicht! - Ich habe es bereits überprüft, das Herz steht still. Lediglich das Blut ist halbaktiv, verglichen mit einem normalen, lebenden Menschen." Kölln starrte aufgeregt zwischen dem Zombie und Kanthaus hin und her: "Dann ist es also tatsächlich ein Zombie? - Liefern sie mir Fakten! Machen sie die Tests wie ich es sagte..." "Dafür muss ich Kollegen hinzu ziehen!" sagte Kanthaus. "Tun sie das! Ich brauche wohl nicht zu erwähnen das besser nichts hiervon an die Öffentlichkeit gelangt, oder? - Ich habe allmählich keine Idee mehr wie ich diese seltsamen Fälle behandeln soll, allerdings haben wir diesen...diesen Zombie. Nehmen sie alles auf Video auf, falls man daran zweifelt, was hier los ist. Man sperrt uns ja ein! - Sollte der Zombie verschwinden habe ich ihn nie gesehen. Ich habe keine Lust den Rest meines Lebens in einer Gummizelle zu verbringen. Ich hoffe nur das ich mich nicht bereits in einer befinde." Damit ging Kölln mit energischen, schnellen Schritten in Richtung Ausgang und ließ Kanthaus mit der grollenden, knurrenden Leiche allein. |