The Ferocynthetics (Auszug Kapitel 4)
Daniel war noch gut zwanzig Mal auf dem Dach dieses Hauses und versuchte sich hinunter zu stürzen doch es gelang ihm nie. Einmal nahm er sogar Anlauf und rutschte aus, doch jedes Mal bremste er ab oder hielt an bevor es zu dem unumkehrbaren Schritt kam. Die Wut auf seine Unfähigkeit dieses unsichtbare Hindernis zu bewältigen, trieb ihn zu immer neuen Selbstverstümmelungen. Er ritzte sich die Haut an den Armen mit einem Teppichmesser auf. Dann machte er am Körper weiter bis er an die hundert blutige Schlitze auf seiner Haut hatte. Doch ihm war, als wären diese Wunden der einzige Weg, den Druck in seinem Körper abzubauen. Er besaß kein Ventil und so musste er diese Öffnungen schaffen, durch die der Druck entweichen könnte. Später wollte er in den Momenten seiner Verzweiflung, das seine Umwelt seinen Schmerz sah und er fügte sich Schnitte im Gesicht zu. Fabio war es inzwischen gelungen Sophia zu erobern. Sie hatte ihn und seine Aufmerksamkeiten inzwischen lieb gewonnen und konnte seine Liebe erwidern. An der stagnierenden Kreativität der Band, änderte das jedoch nichts. War Fabio zuvor aufgrund seiner Depressionen zu nichts zu gebrauchen, so war es nun Sophias Liebe die all seine Aufmerksamkeit verschlang. Daniel hingegen nutzte seine Depressionen für kreative Höchstleistungen. Wann immer er Zeit hatte schrieb er Songs, Gedichte, Lyrik, Prosa und komponierte neue Lieder. Nie fiel es ihm bisher so leicht, geniale Musik aller Sparten zu kreieren. An einigen Tagen erstellte er bis zu sieben Songs, die allesamt keinerlei Schwächen aufwiesen. Trotzdem war seine Grundstimmung tiefschwarz, enttäuscht von allem in der Welt. Sein Glaubensverlust an das Positive, ging schließlich so weit, das er einen Produzenten namens Dombrowski, der sich regelrecht bei ihm darum bewarb seine Songs nutzen zu dürfen, eine Absage erteilte. Es war die Antwort auf die Tapes, die er mit Antonio zusammen verschickt hatte. Das Dombrowski jedoch alles haben wollte, sowohl Daniels Solo-Projekt, die Ferocynthetics und auch die extravagante Musik Antonios, machte Daniel stutzig. Die drei Musikstile waren seiner Meinung nach viel zu unterschiedlich und unvereinbar, als das ein und derselbe Produzent sich dafür interessieren könnte. Weitere Fakten, die Daniel zur Absage bewegten, waren, das er weder Philipp noch Fabio erreichen konnte, die beide scheinbar besseres zu tun hatten, als auf seine Anrufe zu antworten. Zudem wollte Dombrowski, das sie zu ihm nach Genf kämen, um alles Weitere zu besprechen, er allerdings keine Freikarten für die Bahn oder bezahlte Hotelbuchungen beigelegt hatte. In Daniels Augen, eine sündhaft teure Ausgabe, die er sich schenken konnte. Das Dombrowski am Telefon von dem Abstand nahm, was ein Produzent normalerweise tun würde und sollte, nämlich anständige Studioaufnahmen zu planen, bestätigte Daniel nur abzulehnen. Dombrowski wollte gleich die Demoaufnahmen auf CDs pressen, die er dann an Plattenbosse versenden wollte. Somit war diese Figur scheinbar eher ein erfolgloser Manager, als ein Produzent. Denn als Daniel sich die Unterlagen ansah, die er bekommen hatte, so waren die Künstler Dombrowski's auf diesen CD-Compilations zwar stets von bekannten Hits und Künstlern umgeben, jedoch waren die Künstler Dombrowski's stets die Acts, von denen Daniel noch nie etwas gehört hatte. Zwei Wochen später meldete sich Fabio wieder bei Daniel. Daniel stand immer noch in Kontakt mit Dombrowski um seine Demo-Kassetten zurück zu bekommen. Antonio hatte bereits ebenfalls mit Dombrowski telefoniert und wurde nach Rücksprache mit Daniel auch skeptisch obwohl er vorher bereits alles für eine Fahrt nach Genf geplant hatte. Daniel bat Dombrowski Antonio die Tapes wieder mitzugeben sobald sie sich träfen. Als Daniel Fabio von dem Angebot Dombrowski's erzählte, rastete Fabio völlig aus. Fabio hatte gänzlich andere Ansichten zu der Thematik und wollte auf jeden Fall nach Genf fahren. Hätte Fabio nicht gewusst, das er durch sein eigenes Verhalten diesen Beinahe-Total-Crash ausgelöst hatte, hätte er versucht Daniels Hals durch die Telefonleitung zu packen, zu würgen und durch den Hörer zu zerren. Doch Daniel sagte immer wieder, auf Fabios, empört hervorsprudelnde Vorwürfe: "Ich hab' dich ja sofort angerufen, aber du hast ja nicht zurück gerufen! - Entschuldige das ich auch mal schlecht drauf' bin!" Erst jetzt begriff Fabio was überhaupt vor sich ging. Ihm wurde plötzlich klar wie ein helles Leuchten in seinem Kopf das sich in der Band internen Disziplin und Kommunikation etwas grundlegend ändern musste doch nun war es am wichtigsten das Daniel einen neuen Termin mit Dombrowski besorgt. Fabio sah zwar ein, das Daniel zur Zeit lange nicht mehr die Dinge so im Griff hatte, wie er es vorher geglaubt hatte, doch Daniel war immer noch eine zehn mal bessere Wahl als Philipp und auch noch um einiges besser als er selbst. Fabio wusste das er zu aufbrausend und zu aggressiv war. Außerdem konnte er sich nicht so gut ausdrücken wie Daniel und hatte immer diese grundsätzliche Distanz zu Fremden. Also flehte er ihn an, Dombrowski wieder anzurufen und ihm irgendetwas zu erzählen, damit er sie trotz allem empfing. Um die Fahrtkosten solle Daniel sich keine Sorgen machen, Fabio würde alles besorgen was nötig wäre. Daniel entschied sich kurzer Hand für die Wahrheit. Er sagte Dombrowski das er starke Depressionen aus Liebeskummer hatte, alleine eine Entscheidung treffen musste weil er die Bandmitglieder nicht erreichen konnte und er zur Zeit etwas neben sich war. Dombrowski gab sich Verständnisvoll und Weltmännisch gnädig und gab ihnen eine Woche Vorbereitungsfrist. Daniels Meinung hatte sich kein Stück geändert. Er wollte lediglich Fabio und Philipp nichts versauen. Ihm selbst war egal was nun passierte. An einen Erfolg mit diesen Dombrowski konnte er nicht glauben. Er gab den Termin zu dem sie in Dombrowskis Büro in Genf auftauchen müssten an Fabio weiter und überließ dem nun die weitere Planung. Hätte Fabio ihn um Hilfe gebeten hätte er natürlich geholfen doch bis zum Donnerstag vor dem Samstag an dem sie in Genf um 10:00 Uhr Vormittags den Termin hatten hörte er nichts von Fabio. Fabio rief um 20:51 Uhr am Abend an und sagte: "Ich hab jetzt einen Wagen besorgt. Da ich keinen Führerschein habe, müsstest du allerdings fahren." "Kein Problem!", antwortete Daniel. "Wir fahren dann morgen hier bei mir, um 11:00 Uhr los." "Wie stellst du dir das vor? Ich arbeite bis um Viertel nach Eins." "Kannst du nicht den einen Tag Krank machen?" "Ohne Krankenschein?" "Dann wärst du ja tatsächlich krank!" "Man, hättest du mir rechtzeitig Bescheid gesagt hätte ich meinen Boss fragen können. Normalerweise kann ich mit dem reden. Jetzt hat der mich morgen beim Privatkunden eingeplant. Da kann ich den nicht hängen lassen. Der hat mich schon darauf eingeschwört weil er den selbst schon zweimal versetzen musste. Wenn ich da nicht komme ist die Hölle los. So schnell kriegt der keinen Ersatz für mich." Fabio murrte ungehalten in der Leitung. "Na dann fahren wir halt um 13:15!" "Danke schön!", erwiderte Daniel sarkastisch. "Bekomme ich vielleicht noch Zeit durch die Stadt zu euch zu kommen, meine Klamotten zu wechseln und eine Zahnbürste einzupacken?" "Na ja wann kannst du denn hier sein?" Daniel blieb eine kurze Denkpause lang stumm am anderen Ende der Leitung und sagte dann: "Also ich müsste es zu um Zwei schaffen!" "Gut, dann ruf ich jetzt Phil an und sag ihm Bescheid…" "Moment mal! Was ist das für ein Wagen? Wo übernachten wir in Genf? Phil kommt mit?" "Das ist die Karre von meinem Alten. Der leiht sie mir übers Wochenende." "Ach du scheiße!" "Wieso?" "Man, wenn da was mit passiert!" "Wieso? …dann ist das genau so schlimm, wie mit jedem anderen Auto." "Hmm, stimmt auch wieder." "Was waren die anderen Fragen? - Ach so… - Übernachten… - Tja… - Da meine Kohle so gut wie restlos für Benzin flöten gehen wird, müssten wir schon in der Karre pennen?!" Daniel blieb am anderen Ende der Leitung stumm. "Daniel?" "Hmm, da kann dem Wagen zumindest nichts passieren, wenn wir drin' darauf aufpassen." "Genau!", antwortete Fabio erleichtert. "Wie hast du's geschafft Phil zum mitkommen zu bewegen?" "Wieso? Der ist voll begeistert und aufgeregt wie ein Huhn, dem man den Kopf abgeschlagen hat. Der wollte sofort mit." "Na gut! Dann sehen wir uns morgen! Ich muss ja jetzt noch ein bisschen was packen." "Bis morgen!" Daniel hasste die Art wie Fabio sich praktisch auf den letzten Drücker bei ihm gemeldet hatte, doch ihm war klar, das er seine Wut darüber nicht auf die Fahrt mitzunehmen brauchte. Nachdem er am nächsten Tag Feierabend hatte, zog er sich lockere farbenfrohe Klamotten an, so wie es sein Stil war, fuhr den Arbeitswagen zurück auf den Firmenhof und hetzte mit zwei großen Taschen zur S-Bahn. Um 14:05 kam er beim Block von Fabio und Philipp an. Beide standen schon auf dem Parkplatz und warteten gut gelaunt. Daniel selbst war etwas genervt, doch er schluckte das meiste davon herunter, da es nichts brächte kurz vor so einer langen gemeinsamen Fahrt im Auto die Stimmung zu vermiesen. Sie begrüßten sich kurz, Daniel packte seine Taschen in den Kofferraum und Fabio präsentierte kurz mit stolzem Grinsen den Wagen. Anschließend machte Daniel sich alles für die lange Fahrt zurecht so das er es bequem. Fabio setzte sich auf den Beifahrersitz und Philipp machte sich auf der Rückbank breit. Dann startete Daniel den Wagen und fuhr behutsam vom Parkplatz in Richtung zur Autobahnzufahrt die auf die A5 in südliche Richtung führte. Auf dem Weg zur Autobahn machte er sich langsam mit dem Wagen vertraut und lotete die Schaltwege der Gangschaltung aus, die sich um ein vielfaches einfacher einlegen ließen, als bei seinem alten, klapprigen Firmenwagen. Auch die Pedale ließen sich angenehm treten und so fand er sich schnell zurecht. Als er die lang gezogene, scharfe Kurve auf die Autobahn hochfuhr sahen Fabio und Philipp sich kurz schmunzelnd an und fragten dann synchron mit Kinderstimmen: "Sind wir bald da?" Anschließend brachen sie alle drei in Gelächter aus. Die Musikberieselung hatten Fabio und Daniel in der Hand, die beide Mixtapes mitgebracht hatten. Philipp machte das nichts aus. Er mochte den Musikgeschmack der beiden obwohl seine Mixtapes allgemein etwas seichtere Musik enthalten hätten mit eben seinen favorisierten leicht kitschigen Pianoelementen. Sie verließen die Großstadtzone samt ihren Vororten und passierten Darmstadt. Die Landschaft wurde grüner und die hohen Gebäude-Silhouetten im Hintergrund der Landschaft verschwanden langsam aus dem Bild das sich hinter den Fenstern bot. Sie fuhren dem Ungewissen entgegen, dem sie alle jeder für sich ganz unterschiedliche Erwartungen entgegenbrachten. Philipp hatte keine konkreten Vorstellungen von dem was dort passieren würde, doch jemand aus dem Musikbusiness hatte Interesse an ihrer Arbeit gezeigt und das war immerhin eine Chance. Sie mussten sich nun von ihrer besten Seite präsentieren und möglicherweise könnte dann in naher Zukunft sein leidenschaftliches Hobby zu seinem Beruf werden. Für Fabio war es der Strohhalm auf den er gewartet hatte, den ihm jemand reichte um ihn aus dem Treibsand des Lebens zu zerren in den er geraten war. Zur Zeit erschien ihm das Ende dieses Strohhalms so groß und stark wie ein Stahlseil, wenn er eine Ameise wäre, obwohl er ganz genau wusste das es sich nur um einen Strohhalm handelte. Daniel versuchte vor Fabio und Philipp so gut wie möglich zu verbergen das er immer noch zu seiner anfänglichen Meinung stand und nicht glaubte das Dombrowski auch nur irgendetwas für sie tun könnte. Doch er sah sich selbst als das Herz der Band an und da er bisher sämtliche Organisation in der Hand gehabt hatte und dieses Treffen auch ermöglicht hatte, musste er natürlich dabei sein. Abgesehen davon, kostete ihn das alles nichts und er kam mal raus aus Frankfurt. Wie es in Genf aussah interessierte ihn ebenfalls und wenn sie dort auch nicht reich und berühmt werden würden, so könnten sie sich immerhin mal eine andere Stadt ansehen und gemeinsam etwas Spaß haben. Die grünen Landschaften rasten auf der Fahrt an ihnen vorbei. Das Auto passierte Bensheim, Weinheim, fuhr durch Heidelberg und Karlsruhe. Nachdem sie bereits fast zwei Stunden unterwegs waren tauchte kurz vor Offenburg auf der rechten Seite das Gelände mit dem imposanten Hudson-Gebäude auf. Es war eine der zehn bekanntesten Plattenfirmen der Welt und das den Dreien nur allzu bekannte Logo prangte groß und glänzend von der oberen Gebäudewand. Alle drei wurden still und sahen auf das Gebäude welches ihnen prachtvoll wie das Taj Mahal erschien. "Da hätten wir hin fahren sollen!", sagte Daniel knapp, hielt aber sofort wieder seinen Mund und sah zurück auf die Strasse. Doch seine Bemerkung langte um Philipp klar zu machen was er von dieser Fahrt hielt. Philipp war jedoch abgeklärt genug das Thema nicht anzusprechen. Ihm war klar das sie alle andere Gründe hatten dort hin zu fahren. Fabio hingegen verschwendete keinen Gedanken an Daniels Worte und sah immer noch auf die Reste des Gebäudes das bei der Weiterfahrt langsam hinter einer Anhöhe verschwand. An der nächsten Raststätte fuhr Daniel ran um eine erste Pause einzulegen. Daniel sowie Philipp schwiegen in Gedanken versunken während sie ihren Kaffee trunken nur Fabio schwelgte aufgeregt in Tagträumen und malte sich lebhaft aus, wie die Plattenbosse Hudsons sie um Vertragsunterschriften anbetteln würden, mit all den anderen Firmenbossen, die sie bei ihrem ersten Charterfolg, alle zu einer Auktion um die Veröffentlichungsrechte, in einem feinen Konferenzraum, in Frankfurts höchstem Gebäude geladen hätten. Eine Stunde später fuhren sie durch Basel auf die Grenze zur Schweiz zu. Philipp sorgte kurze Zeit für Aufregung, in der er panisch seine Taschen nach seinen Ausweispapieren durchsuchte, die er dann jedoch noch rechtzeitig fand, bevor der Zöllner sie ansprach. Hinter der Grenze gab es einen kurzen Streit darüber welche Route sie nehmen sollten doch Daniel setzte sich mit der Autobahnroute durch und meinte das sie sich auf dem Rückweg immer noch die Nebenstrassen ansehen könnten. "In dieser Toblerone Landschaft wisse man schließlich nicht ob ein Umweg 15 Minuten länger oder sechs Stunden länger dauerte." Um 20:11 Uhr fuhren sie ermüdet in Genf ein. Aufgrund Daniels Vorschlag drehten sie lediglich eine Autobahnrunde durch die Stadt und fuhren dann auf die N5 von der sie zum Genfer See abfuhren um dort irgendwo einen ruhigen Platz zur Übernachtung zu finden. Als sie einen Platz an einem Feldweg am Waldrand gefunden hatten, den sie als geeignet ansahen stellte sich heraus das sie unterschiedlicher Auffassungen waren wie der weitere Abend zu verlaufen hatte. Daniel war total geschafft und wollte eigentlich in spätestens einer Stunde schlafen. Fabio und Philipp waren sich jedoch einig das sie das Nachtleben Genfs erkunden wollten. Nun hatte Daniel weder die Möglichkeit ihnen zu sagen sie sollen den Wagen nehmen da keiner der beiden einen Führerschein besaß noch konnte er ihnen sagen das sie zu Fuß gehen sollen, da sie bereits wieder weit vor den Toren der Stadt waren. Seine einzige Möglichkeit sich selbst aus der Sache heraus zu halten würde ihn zum Partypooper / zur Spaßbremse machen. Also ließ er sich überreden und fuhr mit den beiden zurück in die Stadt. |