Der Schrein des Wrukólakas (Auszug Kapitel 9)
Pfarrer Jansen stand nervös in dem seltsamen dichten Nebel, der die Kirche und den Friedhof seit der Beerdigung der beiden Jäger umgab. Seit 17 Jahren hatte Jansen keine Zigarette mehr angerührt, seit er jung war und noch nicht daran gedacht hatte Pfarrer zu werden. Er blies den Rauch hinein in die Nebelschwaden und schnipste dann die dritte Zigarette die er in dieser Stunde geraucht hatte weg, auf die Erde. Gestern als er einen Zombie auf seinem Friedhof gehabt hatte, begann er wieder zu rauchen. Die Wagen kamen heran gefahren; Kölln voran, mit seinem Dienstwagen, dahinter ein Polizei-Transporter und dahinter ein Privatwagen. Insgesamt stiegen aus jedem Wagen zwei Personen aus von denen sich die hinteren vier gleich nach dem Aussteigen mit Schaufeln aus dem Transporter bewaffneten. Jansen sah Köllns Gesicht an das ihm ebenso unwohl bei der Sache zumute war wie ihm selbst. "Fertig?" Jansen nickte. "Dann führen sie uns bitte zu dem Grab, bevor es wieder einen Auflauf gibt." "Hier entlang." Jansen führte die Männer an das Grab von Dirk Wehreich wo sofort begonnen wurde zu graben. Da das Grab noch frisch war und vier Mann arbeiteten sollte der Spuk zügig vorbei sein. "Sie vermuten das der Wolf die Männer mit etwas angesteckt hat?", fragte Jansen. Kölln sah skeptisch und hoffnungslos in Jansens Gesicht und prüfte den Pfarrer eine Weile. Dann sagte er mit Blick auf das Loch welches geschaufelt wurde: "Sollte ich mit meiner Vorahnung was dieses Grab betrifft recht behalten, dann hoffe ich, das sie mir helfen werden. Denn als Polizist und Kriminologe habe ich mich bisher immer nur an Logik, Greifbares, Nachweisbares, irdische Dinge und knallharte Fakten gehalten, doch alles worauf die knallharten Fakten in diesem Fall hindeuten ist absolut nicht mit dem in Einklang zu bringen was mich meine bisherige Erfahrung gelehrt hat. Jemand der den Glauben an unerklärliche Phänomene, Dinge... Dinge die es nach dem Stand der Wissenschaft nicht geben kann hat, könnte mir da vielleicht weiter helfen." Jansen hatte Kölln scharf angesehen und konnte nicht verhindern schmunzeln zu müssen, als der Kriminalkommissar nach Worten suchte. "Sagen sie Kölln, Glauben sie an die Liebe?" Kölln sah abschätzend auf Jansen: "Ja!" "Können sie beweisen das es die Liebe gibt?" Kölln grinste: "Sie glauben gar nicht, mit wie vielen Toten ich aufgrund der Liebe, in meinem Beruf schon zu tun hatte. - Aber ich weiß worauf sie hinaus wollen. Lassen sie uns nicht über den Glauben an die Religion reden und besser auch nicht an den Glauben an die Liebe. Die Liebe hat bei mir keinen guten Ruf." Jansen sah Kölln verunsichert an und schwieg. Er nahm sich statt dessen eine weitere Zigarette aus der Tasche, die er sich anzündete. 15 Minuten später war der Sargdeckel freigelegt und Kölln ordnete die Öffnung an. Als der Deckel abgehoben wurde und das weiße Tuch mit einer Stange von der Leiche geschoben wurde erstarrten alle Anwesenden als würde ihr Blut plötzlich kälter werden. Der Pfarrer schlug stumm die Hände vor dem Gesicht unter den Augen zusammen und Kölln starrte fassungslos hinab in die Grube. Der Tote hatte die Knie dicht an den Körper heran gezogen und lag zusammengekauert in der obersten Ecke des Sarges hineingequetscht. Dort lag er mit geschlossenen Augen scheinbar hochkonzentriert und hatte den Zipfel des weißen Leichentuchs zwischen den zusammengebissenen Zähnen und kaute darauf herum. Man musste ganz genau hinsehen, um die geringen Kieferbewegungen zu erkennen, doch sie waren da. Kölln blinzelte mit den Augen und war Kreidebleich geworden. Schluckend und gleichzeitig aufstoßend sagte er: "Nehmt ihn mit!" Dann wandte er sich ab ging ein paar Schritte und stützte sich am Geländer des Friedhofs ab. Jansen vermochte es nicht den Blick von dem Toten abzuwenden. Er wusste wie der Mann im Sarg lag, bevor er mit dem Leichentuch bedeckt wurde und das war ganz bestimmt nicht so, wie er nun da lag. Vorher lag er aufrecht, auf dem Rücken, im Sarg. Kölln atmete tief durch, als Jansen zu ihm kam: "Was zum T... - Was ist hier los? Könnten sie mir mal erklären was hier vor sich geht?" Kölln drehte seinen Kopf mit herausforderndem Blick Jansen zu und sagte: "Ich hatte gehofft, das könnten sie mir erklären!?" Jansen wand sich den Männern zu, die den Toten gerade auf die Bahre legten und sah wieder zurück in Köllns Gesicht: "Ich weiß worauf das hinausläuft, doch dafür reicht mein Glauben nun auch nicht aus, das ist Volksglauben, Märchen aus längst vergangener Zeit, Seemannsgarn. - Nachzehrer?" Kölln sah Jansen ernüchtert an: "Ja, Nachzehrer und Zombies. Hervorgerufen durch die tödlichen Bisse eines Werwolfes. Und eines sage ich ihnen; wenn ich auch noch Spuren zu Vampiren finde, dann bin ich weg!" "Was haben sie für mich?", fragte Kölln entnervt. Es war Freitag und eigentlich hätte er bald Feierabend, doch seit er an diesem Fall dran war, achtete er nicht mehr auf die gewöhnlichen Arbeitszeiten, da ihn das Thema auch in seiner Freizeit nicht los ließ. Kölln stand vor Kanthaus der nun zum zehnten Mal in sein Mikroskop blickte unter dem eine Blutprobe des dritten wieder auferstandenen Toten Dirk Wehreich lag. Kanthaus schüttelte den Kopf und sah von dem Mikroskop hoch: "PLT, also Thrombozyten sind kaum vorhanden, was das flüssige Blut erklärt, Leukozyten sind bedenklich vermindert, Erythrozyten sind fast gar nicht vorhanden dafür aber in einer Masse die für Erythrozyten normal wäre Retikulozyten..." "Hey, hey, hey! - Wissen sie was ein FI-h-20 ist?", unterbrach Kölln, die Ausführungen von Kanthaus. Kanthaus sah Kölln verwirrt an und schüttelte verunsichert mit dem Kopf: "Nein." "Das ist Umgangssprache in der Polizei für Fachidioten hoch Zwanzig und genauso wie ihnen der Ausdruck neu ist, kann ich auch mit ihrer Medizinersprache nichts anfangen. Können sie das irgendwie in verständliche Worte verpacken?" Kanthaus sah leicht abfällig auf den leicht verstimmten Kölln und sagte: "Sicher doch! - Die Anteile im Blut die für die Blutgerinnung sehr wichtig sind fehlen fast vollständig. Dann gibt es übermäßig starke Anzeichen für eine Viruserkrankung, aber nur im Blut. Rote reguläre Blutkörperchen sind fast gar nicht vorhanden, statt dessen aber der Stoff aus dem sich rote Blutkörperchen entwickeln, der für Blutneubildung verantwortlich ist. Von dem Stoff sollte im Normalfall nur wenig im Blut nachweisbar sein. Nach schlimmen Wunden zwar in erhöhten Werten, aber das hier sprengt jeden Rahmen. Außerdem ist da noch ein fremder Stoff der sich flächendeckend im Blut ausgebreitet hat, der die anderen Bestandteile scheinbar nicht angreift, dazu muss ich allerdings Langzeit-Tests machen um den Stoff besser zu analysieren. Ich nehme an das wir es bei dem Zeug mit dem Verantwortlichen für diese Phänomene zu tun haben. Bei dem Zeug fange ich bei Null an, von daher kann es dauern ehe ich dazu weitere nützliche Informationen habe." "Bringen sie das Zeug mal mit Silber zusammen und rufen sie mich an sobald sie das Ergebnis haben. Was gibt es noch?" "Im Gehirn sind noch geringe Aktivitäten zu messen. Hier gibt es Unterschiede zwischen Wehreich und den anderen beiden. Bei Wehreich ist ein anderer Bereich aktiv, bei allen gibt es aber nur noch gut acht Prozent von der Hirnaktivität eines lebenden Menschen. Ach ja und zum Teil habe ich mich bei dem Herz geirrt. Es schlägt zwar nicht im herkömmlichen Sinne, aber der Motor für den Blutfluss scheint dort zu liegen. - Rein theoretisch handelt es sich in allen anderen Belangen um Leichen die scheinbar ohne Sinn und Verstand durch eine fragwürdige Aufgabe des Gehirns am Leben gehalten werden. - Das mit dem Silber könnte man übrigens gleich mal testen..." Kanthaus verschwand im Nebenraum und kam einige Momente später mit einem kleinen Röhrchen wieder. Er justierte einiges am Mikroskop öffnete die Observationsplatte und gab etwas Silber an den Rand. Anschließend schloss er die Platte wieder und sah durch das Mikroskop. "Whoo!", rief er beeindruckt auf. "Das ist faszinierend! Es scheint als würde dieser fremde Stoff sofort absterben bei Berührung mit dem Silber..." Kölln nickte nur. "Sobald Sie einen der drei lebenden Toten entbehren können, probieren sie bitte ihn zu töten. Am besten fangen sie damit an, das sie ihnen das Herz entnehmen und es mit Essig aufkochen." Kanthaus sah Kölln zweifelnd an: "Was?" "Laut Überlieferung tat man das früher, um zu verhindern, das die Toten zurück kommen!" |